"Susanna" von Martin Mayer

Rede zur Enthüllung der Bronze-Skulptur Susanna am 09.05.2025 im Münchner Prinzregentenbad

 

Von Andreas Kühne

Wenn Kunsthistoriker – und nicht nur Kunsthistoriker – den Zugang zu einem Werk der Bildenden Kunst suchen, versuchen sie in der Regel, sich zunächst am Titel des Werks zu orientieren. Aber gerade hier hilft uns die Susanna von Martin Mayer nicht viel weiter. Die Geschichte der Susanna aus dem Alten Testament werden Sie alle kennen. In der deutschen Einheitsübersetzung steht sie am Ende des Buches Daniel:

"In Babylon lebte ein reicher Mann namens Jojakim. Seine Frau Susanna war nicht nur schön und fromm, sie hatte als Mädchen auch Toraunterricht erhalten. In Jojakims Haus verkehrten zwei Älteste und Richter. Sie beobachteten Susanna dabei, wie sie im Park ihres Mannes spazieren geht. Die beiden beobachten die Frau tagelang bei ihren Spaziergängen im Park. An einem heißen Tag wünschte Susanna ein Bad zu nehmen, sie schickte ihre Mädchen aus, die Parktore zu schließen und Öl und Salben herbeizubringen. Die Ältesten in ihrem Versteck blieben unbemerkt, als die Tore geschlossen wurden. Sie waren nun mit Susanna allein im Park und bedrängten sie, aber Susanna wehrte sie ab."

Der weitere Verlauf der Geschichte, die von der schließlichen Errettung der Susanna durch den jungen Daniel erzählt, ist in unserem Zusammenhang ohne Bedeutung. Tatsächlich lassen sich in der Kunstgeschichte seit dem frühen Mittelalter bis heute mindestens 1500 Susanna-Darstellungen in Form von Zeichnungen, Bildern, Graphiken, Fotografien und – eben Plastiken – nachweisen. Von mittelalterlichen Miniaturen über Rubens, Rembrandt und Artemisia Gentileschi bis zu Moran Haynal. Die biblische Daniel-Erzählung diente dabei zum Anlass und zur Legitimation der künstlerischen Gestaltung des nackten weiblichen Körpers.

Im Fall von Martin Mayers Susanna ist der Titel des Werks erst a posteriori vom Künstler gefunden worden. Die aufgrund eines städtischen Wettbewerbs entstandene und ausgewählte Plastik sollte ursprünglich nur eine mehr oder weniger nackte Badende oder eine sich auf ein Bad vorbereitende Frau thematisieren. Nach ihrer Modellierung und dem Bronzeguss stand die 2,10 Meter große Susanna im Lichthof der Städtischen Sportanlage an der Münchner Lauensteinstraße.

Das Raffinierte an dieser Darstellung ist, dass der Akt – oder die Susanna – sich zugleich enthüllt und verhüllt, in dem sie ihr Hemd über den Kopf zieht, der aber umrisshaft, die Physiognomie immer noch erkennen oder besser erahnen lässt. Eine Referenzfigur von 1961, die den schlichten Titel Sich Ausziehende trägt und nur 73 cm groß ist, enthüllt hingegen ihr Gesicht. Hier bleibt das Hemd unterhalb der Kinnpartie und oberhalb der Schultern stehen.

... weil sich Martin Mayers Werke eben nicht in eine kunsthistorische Schublade schieben lassen.

Frau Mayer hat mich gebeten, dieses Werk von Martin Mayer kunsthistorisch einzuordnen. Das ist – wie so häufig in der Kunstgeschichte – einerseits einfach, andererseits aber auch schwierig, weil sich Martin Mayers Werke eben nicht in eine kunsthistorische Schublade schieben lassen.

Der bekannte Kunsthistoriker Hans Konrad Roethel (1909-1982), der frühere Direktor des Lenbachhauses, der später in Princeton tätig war, schrieb 1972 in einer ersten kleinen Monographie über das Werk von Martin Mayer:

"Das Hauptthema von Martin Mayers Arbeit als Bildhauer und Graphiker ist der weibliche Akt. Seine Bildnisköpfe und Tierplastiken spielen demgegenüber eine untergeordnete Rolle. [...] die Beherrschung des anatomischen Aufbaus ist Voraussetzung für seine Figuren, als solche aber für das Ergebnis seiner künstlerischen Arbeiten so gut wie irrelevant. Bei seinen Zeichnungen ebenso wie bei seinen Plastiken ist es die Erscheinung des Modells in seiner bewegungsmäßigen Ganzheit, die ihn fesselt, nicht die reflektierende Analyse des Motivs. Sosehr er also vom Thema her auch einer alten Tradition der Bildhauerei verbunden ist, so ist doch die Art seiner Modellierung vollkommen unorthodox."

Da ich nicht davon ausgehe, dass Ihnen die Biographie von Martin Mayer allgemein bekannt ist, schließe ich hier noch ein paar Notizen zu seinem Werdegang an:

Martin Mayer entstammte einer pfälzischen Familie. Geboren wurde er 1931 in Berlin. Die Eltern waren beide Gebrauchsgrafiker. 1946 vermittelte ihn Angelus Kupfer, damals Abt des Klosters Ettal, als Privatschüler an Theodor Georgii (1883-1963), den Schüler und Schwiegersohn Adolf von Hildebrands. Mayer war also ein Enkelschüler von Hildebrand, der durch seine Figuren und Brunnen im öffentlichen Raum das Gesicht Münchens mitgeprägt hat. Bei Georgii studierte Mayer von 1949 bis 1954 an der Münchner Kunstakademie. 1953 nahm Mayer als jüngster Bildhauer an der "Großen Kunstausstellung" im Haus der Kunst in München teil. 1954, direkt nach Studienabschluss, nahm er, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, zunächst ein künstlerisches Engagement bei Käthe Kruse in Donauwörth an, wo er als "Gebrauchsmodelleur" auch Puppenköpfe entwarf. 1963, nach dem Tod Georgiis, bezog Martin Mayer dessen Bildhauer-Atelier im Hildebrandhaus, der heutigen Monacensia. Auf diese Weise wurde er der Ateliernachbar von Rolf Nida-Rümelin (1910-1996), der auch hier im Prinzregentenpark mit einer Skulptur vertreten ist. Vier Jahre später verlegte Martin Mayer sein Atelier in die Borstei, wo er bereits 1965 eine Wohnung bezogen hatte.

Martin Mayer gilt als einer der letzten Vertreter der klassisch-modernen Skulptur in der Tradition von Rodin, Maillol und Marino Marini. Und ich möchte hinzufügen: von Charles Despiau (1874-1946), der einen Großteil seines bildhauerischen Schaffens dem weiblichen Akt widmete. 

Seit Ende der 1950er Jahre schuf Martin Mayer rund 30 große Bronzefiguren für den öffentlichen Raum. Er selbst charakterisierte sein Werk einmal so: "Oft ist zu hören, dass etwas, was nicht zu erkennen ist, abstrakt sei. Und das ist ein Irrtum. Ich meine, in der Kunst geht es ja darum, das Wesentliche erkennbar zu machen. Wenn man das Wesentliche erkennbar machen will, muss man das Unwesentliche weglassen. Man muss das Unwesentliche abziehen. Und darin liegt ja schon ein geistiger Prozess, ein Abstrahierungsvorgang. Und der macht eigentlich erst die Kunst aus. Der bestimmt den Grad der Kunst. Das hat gar nichts mit „gegenständlich“ oder „nicht gegenständlich“ zu tun. Eine durchaus gegenständliche Plastik kann so abstrakt sein wie auch ein ungegenständliches Gebilde."

Abschließend will ich Gerhard Marcks (1889-1981) zitieren, sicher einen der bedeutendsten deutschen Bildhauer der 20. Jahrhunderts, der in einem Brief vom 4. November 1970 an Martin Mayer schrieb:

"[..] Gewiß, Sie sind ein Meister vom Fach! Was Sie ausdrücken wollen, ist auf dem geraden Weg erreicht: eine lebendige kräftige Auffassung und eine klare Formensprache. Dazu ein sauberes Handwerk, das einem heute als Schwäche angerechnet wird, aber sub specie aeternitatis ist die Kunst nicht vom ernsthaften Handwerk zu trennen [...].“

Dem kann ich auch nach als einem halbem Jahrhundert nichts hinzufügen. Ich freue mich, dass die "Susanna" von Martin Mayer im Prinzregentenbad einen würdigen und schönen Platz gefunden hat.

 

Prof. Dr. Andreas Kühne
Direktor Bildende Kunst, Bayerische Akademie der Schönen Künste
https://www.badsk.de