"Susanna" von Martin Mayer

Rede zur Enthüllung der Bronze-Skulptur Susanna von Martin Mayer am 09.05.2025 im Münchner Prinzregentenbad

Von Anke Buettner

 

Liebe Familie Mayer, liebe Johanna Vocht, liebe Anwesende,

herzlichen Dank für die Einladung – ich freue mich sehr, heute mit Ihnen die Einweihung dieser Skulptur an diesem Ort feiern zu dürfen! Es ist ein besonderer Moment, an dem ich als Leiterin der Monacensia im Hildebrandhaus gerne teilnehme.

Auf den ersten Blick mag die Verbindung zwischen dem literarischen Gedächtnis der Stadt – der Monacensia – und einer Skulptur auf der Wiese im Prinzregentenbad nicht unmittelbar einleuchten. Aber es gibt tatsächlich Linien, die sich vom Isarhochufer über die Prinzregentenstraße bis hierher ziehen lassen!

Der Künstler Martin Mayer selbst ist es, der uns ganz offensichtlich selbst miteinander verbindet. Sein Werk wurde stark geprägt vom berühmten Bildhauer Adolf von Hildebrand – dem Erbauer des Hildebrandhauses, also dem heutigen Sitz der Monacensia und Arbeitsplatz von mehr als 20 Kolleg*innen – und nach wie vor von für die Dauer ihrer Projekte von Forschenden und Künstler*innen, von Studierenden, Journalist*innen und Publizist*innen. Martin Mayer war Privatschüler des ebenfalls in München tätigen Bildhauers Theodor Georgii. Georgii war mit Irene Hildebrand, der Tochter Adolf von Hildebrands, verheiratet, die ebenfalls eine bekannte Bildhauerin war. Martin Mayer begann seine Ausbildung im Alter von 15 Jahren in Georgiis Werkstatt in der Maria-Theresia-Straße. Später restaurierte er gemeinsam mit Georgii den Wittelsbacher Brunnen – ein erstes sichtbares Zeichen seiner Kunst im Stadtbild. 1963 zog Martin Mayer selbst ins Erdgeschoss des Hildebrandhauses, wo er bis 1968 in einem der Ateliers arbeitete.

Es ist ein schöner Gedanke, dass wir heute – leicht zeitversetzt natürlich – die gleichen Wege gehen, durch die gleichen Türen treten und uns vielleicht am gleichen Baum neben dem Brunnen erfreuen. In unserer heutigen Dauerausstellung sehen Sie im letzten Raum gegenüber der Terrasse – in der Nähe des besagten Baumes – ein Foto, das zeigt, wie Martin Mayer sein Atelier eingerichtet hatte. Dieses Bild sowie der Hildebrandsche "Steinwagen" aus seinem Atelier wurden uns von Martin und Sigrune Mayer zur Verfügung gestellt bzw. geschenkt. Was heute leider nicht mehr zu sehen ist: ein Pinguin, ein Adler und zwei lebensgroße Frauenskulpturen, die laut der informativen Website der Martin-Mayer-Gesellschaft zuletzt in der Monacensia standen und nun verschollen sind.

Neben diesem persönlichen Bezug möchte ich eine zweite Linie ziehen, die mich aus Sicht der Monacensia beschäftigt und auch persönlich bewegt: Im Kunstunterricht haben wir uns als Schüler*innen intensiv mit der biblischen Geschichte von Susanna im Bade beschäftigt, als wir die entsprechenden Gemälde von Rubens, Rembrandt und einiger anderer männlicher Künstler betrachteten. Diese Bilder sind mir im Gedächtnis geblieben, nicht wegen ihrer Ästhetik, nicht wegen ihrer Kunst, sondern wegen ihrer Grausamkeit. Susanna erfährt keinen Schutz oder erhält eine selbstbewusste Position, die Voyeure und potenziellen Vergewaltiger werden kaum in Frage gestellt. Im Gegenteil oft wird der Gewaltakt einfach noch einmal "vor Publikum" wiederholt.

Die dargestellte Situation einer Frau, die beobachtet, bedrängt, verleumdet und beinahe hingerichtet wird, weil sie sich dem Missbrauch und Zugriff zweier Männer verweigert, hat mich damals zutiefst erschüttert. Und sie erschüttert mich heute eigentlich noch mehr, weil wir wissen, dass es diese Art von sexualisierter Gewalt nach wie vor gibt und es gerade so aussieht, als ob es keinen Konsens dagegen geben kann. Es erschüttert mich, dass diese Form von Gewalt – oft unreflektiert – in der Kunst und Kunstgeschichte immer wieder reproduziert wurde und wird.

Wenn wir in der Monacensia am literarischen und damit am kollektiven Gedächtnis der Stadt arbeiten, wenn wir Literatur sammeln, wenn wir unsere Bestände in Form von Ausstellungen oder Veranstaltungen an die Öffentlichkeit vermitteln, fragen wir uns regelmäßig: Wessen Lebenswirklichkeit zeigen wir – und wessen nicht? Wessen Perspektive zeigen wir? Welche Perspektive nehmen wir ein? Die Erfahrungen von Frauen fehlen oft oder werden in der Rezeption heruntergespielt. Franziska zu Reventlow, Emmy Hennings, Lena Christ – sie alle schreiben klar und unmissverständlich von Gewalt, von Scham, von dem Gefühl, männlichen Blicken und männlicher Macht ausgeliefert zu sein.

 

Die Susanna, die hier neben uns steht, strahlt für mich keine Scham aus. Sie ist keine verträumte kleine Meerjungfrau. Sie wirkt selbstbestimmt und präsent. 

 

Vor diesem Hintergrund habe ich mir natürlich Gedanken darüber gemacht, was es bedeutet, wenn eine Skulptur der Susanna ausgerechnet in einem Schwimmbad aufgestellt wird – einem Ort, an dem der Blick auf Körper zum einen alltäglich und völlig normal ist. Aber der Scan-Blick, ob sexualisierte Gefahr drohen könnte, für Frauen, Mädchen und Jungen ebenso. Aber: Die Susanna, die hier neben uns steht, strahlt für mich keine Scham aus. Sie ist keine verträumte kleine Meerjungfrau. Sie wirkt selbstbestimmt und präsent. Als wären die alten Übeltäter aus der Geschichte in die Bedeutungslosigkeit verbannt: Sie sind nicht mehr da! Stattdessen sehen wir eine Frau, stattdessen stehen wir neben einer Frau, die selbstverständlich Raum einnimmt, die sich aus- oder umzieht - wie auch immer: Das ist ihre Sache. Wenn ich so sagen darf: Martin Mayer überwindet für mich in diesem Moment und mit diesem Habitus Rubens, Rembrandt & Co. Er ist weder bevormundend noch Besitz ergreifend. Er steht an Susannas Seite. Diese Susanna tritt den Schwimmbadbesucher*innen auf Augenhöhe entgegen.

Martin Mayer überwindet für mich in diesem Moment und mit diesem Habitus Rubens, Rembrandt & Co. Er ist weder bevormundend noch Besitz ergreifend. Er steht an Susannas Seite.

Die Susanna erweitert zudem den Kreis weiblicher Skulpturen im öffentlichen Raum. In München gibt es dort übrigens immer noch viel mehr Pferde mit oder ohne Sockel als Frauen. Deshalb freue ich mich einmal mehr, dass wir heute alle zusammen hier sind. Und ich danke allen, die dazu beigetragen haben, dass wir sie heute gemeinsam einweihen können.

Herzlichen Dank.

 

Anke Buettner
Leiterin Monacensia im Hildebrandhaus
https://www.muenchner-stadtbibliothek.de/monacensia-im-hildebrandhaus