Von Thomas Gädeke
Das Ideal des durchtrainierten Körpers hat die Kunst seit der griechischen Antike beherrscht. Johann Joachim Winckelmann, der Vater der modernen Kunstgeschichte, weist darauf hin, dass die ganze Gesellschaft in Griechenland von einem Schönheitsideal durchdrungen war und es nicht nur bei sportlichen Wettkämpfen auf die Schönheit der agierenden menschlichen Gestalt ankam: »und an dem Fest des Philesischen Apollo war auf den gelehrtesten Kuss unter jungen Leuten ein Preis gesetzt«. Die Lehren der antiken Kunst wurden auch im Mittelalter nicht vergessen und in Renaissancen immer wieder belebt und zum Gegenstand künstlerischer Ausbildung gemacht. Das kam erst nach 1800 zu einem Ende, als die akademische Ausbildung der Künstler in Formeln erstarrte.
Dieser Bildhauer feiert die Schönheit des weiblichen Körpers in stark abstrahierter Darstellung, womit er eine wesentliche Aufgabe der Moderne erfüllt, sich die Formen der Natur auf einem eigenen Weg zu erobern.
Die Kunst von Martin Mayer ist von einer anderen Art. Dieser Bildhauer feiert die Schönheit des weiblichen Körpers in stark abstrahierter Darstellung, womit er eine wesentliche Aufgabe der Moderne erfüllt, sich die Formen der Natur auf einem eigenen Weg zu erobern.
Geboren wurde Martin Mayer zwar 1931 in Berlin, doch stammte seine Familie aus der Pfalz, der er verbunden blieb und die viele Werke im öffentlichen Raum aufstellen ließ. Ausgebildet wurde er bei Theodor Georgii (1883–1963) in München, wo er seitdem und bis zu seinem Tod 2022 lebte und arbeitete. Daher finden sich in München und Umgebung zahlreiche Großplastiken in der Öffentlichkeit aufgestellt. Das Vorbild der Kunst von Georgii und von dessen Lehrer (und Schwiegervater) Adolf von Hildebrand waren ihm wichtig und begründeten seine Distanz zu dem anderen bedeutenden figürlichen Bildhauer in München, Hans Wimmer (1907–1992), während Toni Stadler (1888–1982) wie er ein Schüler Georgiis war.
Wir sind weit entfernt davon, sein reiches bildhauerisches und grafisches Werk hier zu würdigen, das durch Portraitplastiken, Tierfiguren und vor allem durch großformatige Bronzeplastiken im öffentlichen Raum präsent ist. Zu nennen sind unter anderem der Jakobspilger in Speyer und in Südfrankreich, Brunnen mit Figuren in Schleswig und Pfaffenhofen/Ilm, der Franziskus als Friedensbote in München und Mannheim, das Luther-Standbild in Weißenburg und Landau.
Dieser Beitrag beschränkt sich auf die in seinem Werk wesentliche Gruppe von Darstellungen der weiblichen Figur im Zusammenhang des Sports. Mayer war keine überdurchschnittliche Sportbegeisterung eigen. Sein Feld war die weibliche Figur, die sich in seinen Bronzen beim Sport – insbesondere beim Schwimmen – in ihrer Konzentration und Spannkraft entfaltet. In unzähligen Zeichnungen und Lithografien – übrigens auch in meisterlichen Fotografien – hat er die, wie es Werner Haftmann ausgedrückt hat, "Gestalt der fülligen jungen Frau als passende Leitfigur" gefunden, immer wieder untersucht und in ihren Bewegungsmöglichkeiten ausgelotet. Die 44 cm hohe Bronze Schwimmerin von 1962 enthält viel Naturstudium, unterdrückt dieses aber noch zugunsten einer abstrakt-architektonischen Gesamtform. Die Figur, die auf einem Startblock vor dem Sprung ins Becken zum Wettkampf gezeigt wird, ist in dominante Achsen gegliedert.
Von den senkrecht auf großen Füßen stehenden Unterschenkeln geht eine Dreiecksform aus Oberschenkel, Rumpf und Armen aus, aus der sich der Kopf emporreckt und damit die Figur als lebendig handelnde formuliert. Gleichwohl greifen die Schenkel des Dreiecks zeichenhaft ineinander. Aus der abstrakt-konstruktiven Grundform wird durch Ausgestaltung schwellender organischer Formen und dem Versatz von Knien und tiefer greifenden Händen die Figur zu einer lebendigen Form. Dieses moderne Formbewusstsein ist auch in weiteren Arbeiten aufzuzeigen.
Die Haarwaschende von 1969 ist überlebensgroß, 129 cm bei gebeugter Haltung hoch und steht vor einer Münchner Wohnanlage (früher Postamt). "Rapunzel, lass dein Haar herunter", möchte man im Anklang an das Märchen denken. In der Tat ist der Vorgang der Pflege des überlangen Haarschopfs zum Anlass genommen, ein stabiles Gebilde mit drei Beinen zu formen und dies plausibel zu machen. Wir sehen die Sportlerin dabei, ihre Erscheinung nach Training oder Wettkampf wiederherzustellen. Die kraftvollen Unterschenkel werden zusammengeführt, um den Körper in die nötige Balance zu bringen, damit sich die Hände mit dem prachtvollen Haar beschäftigen können, das keineswegs als prall wie der übrige Körpergeschildert wird, sondern durch seine Nässe zusammengehalten und durch die waschende Hand wieder aufgespalten wird.
Die vom Künstler Alraune genannte 78 cm lange Figur von 1971 stellt den weiblichen Körper bei einer gymnastischen Übung dar. Zur Straffung der Bauchmuskulatur werden der Oberkörper und die übereinander gelegten Beine in die Höhe gehoben. Fleischliche Üppigkeit und sportliche Durchtrainiertheit vereinen sich hier zu einem Eindruck des Liebreizes. Der poetisch klingende Name »Alraune« bezieht sich auf die gleichnamige Heilpflanze, deren Wurzel bereits in früher Zeit an menschliche Figuren denken ließ. In großem Maßstab von 330 cm Länge hat Mayer diese Erfindung 1987 in seiner Filia Rheni (Tochter des Rheins) für das Bundespostministerium (heute Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz) am Bonner Rheinufer gestaltet.
Einen Höhepunkt erreichte die Kunst Martin Mayers, als er sich der Aufgabe stellte, ein großes Kunstwerk zur Münchner Olympiade 1972 zu schaffen. Mit der 1973 vollendeten Olympia Triumphans (die triumphierende Olympia), einer Bronzefigur von 385 cm Höhe, gelang ihm auch ein Triumph seiner Kunst. Die akrobatische Körperhaltung ist sicherlich durch Motive aus dem Schwimmsport inspiriert, doch wird in dieser überhöhten Darstellung des Sports schlechthin keine einzelne sportliche Gattung mehr zum Thema. Übermut, Freude und Körperbeherrschung gehen von der Figur aus, die als weithin sichtbares Zeichen in der Ypsilonform ihrer Gebärde alle zuversichtlichen und positiven Aspekte des völkerverbindenden Sports ausdrückt.
Die Form der Kugel wird in dieser Figur geradezu durchdekliniert.
Die Form der Kugel wird in dieser Figur geradezu durchdekliniert. Ausgehend von der reinen Kugel, die die Figur umgreift, fallen die Kugelformen von Kopf, Brüsten und Po auf, die über den straff gespannten, muskulösen Rücken verbunden sind und in die herrlich gelöste Gebärde der prallen, auseinander weichenden Beine führen. Wunderbar, dass hier eine ikonische Abbildung des Sports gelungen ist, die nicht auf realistischer Wiedergabe einer Sportlerfigur beruht, sondern einen Inbegriff von sportlicher Freude und Haltung zu formulieren weiß.
Die lateinische Inschrift auf der Kugel ist kein Zitat, sondern wurde von Martin Mayer formuliert: PER NATURAM AD ARTEM, PER ARTEM AD NATURAM, AD HOMINUM PIETATEM, AD HUMANITATEM EXSTRUENDAM unterstreicht den überzeitlichen Anspruch dieser Darstellung. Sie lautet in der Übersetzung: Durch Natur zur Kunst, durch Kunst zur Natur, der Ehrfurcht der Menschen, der Menschlichkeit errichtet. In "Pietas" schwingen auch die Begriffe Frömmigkeit, Pflichtgefühl und Demut mit. Wie gut, dass das Attentat auf die israelische Mannschaft, das diese Olympiade ins Herz traf, bei der Konzeption der Figur wie bei den Vorbereitungen der Spiele noch außerhalb jeder Vorstellung war und somit unbefangen der seit dem Baron de Coubertin (der Olympia 1894 wiederbelebte) bestehende idealistische und versöhnende Anspruch ausgedrückt werden konnte.
Motive des Sports ließen den Bildhauer auch weiterhin nicht los. 1976/1977 schuf er die 205 cm große Schwimmerin, die in einer Münchner Schwimmhalle sowie als Zweitguss im Naturfreibad im schwäbischen Albstadt-Tailfingen aufgestellt ist. Hier hat er die Figur in der Vorbereitung des Wettkampfs in einem Moment der inneren Sammlung und Konzentration erfasst. Sie steht in ihrem Badeanzug in großer Festigkeit vor uns und setzt sich die Badekappe auf, bereit, auf das Startsignal in das Becken zu springen. Das ist die erkennbare Handlung. Wie aber setzt Mayer das um? Er baut die Figur wie einen Turm auf, lässt von den leicht gewinkelt stehenden Füßen die Unterschenkel und nach der Unterbrechung durch die Knie die mächtigen Oberschenkel aufragen, über denen der Saum des Badeanzugs die Hüfte bezeichnet. Darüber schwingt der Leib ein, ohne die Brüste besonders hervorzuheben. Der Blick wird emporgezogen und das Augenmerk auf die erhobenen Arme gelenkt, die mit ihren Ellenbogen über die Breite der Hüfte hinausreichen und eine Basis schaffen, um in einer Trapezfigur die Gebärde zu vollenden.
Als eine erotische Variante dazu könnte man die 1982 entstandene Susanna ansehen.
Als eine erotische Variante dazu könnte man die 1982 entstandene Susanna ansehen. Die Bronzefigur ist mit 210 cm leicht überlebensgroß hoch und stand von 1982 bis 2022 im Freilichthof einer mittlerweile abgerissenen Sportanlage in München. Ende 2024 wurde sie im Prinzregentenbad München neu aufgestellt. Mayer bearbeitet hier das uralte Thema der Kunstgeschichte "Susanna und die beiden Alten", das die Bibel im Buch Daniel erzählt. Allerdings beschränkt sich Mayer auf die Figur der Susanna und schildert die biblische Geschichte nicht vollständig. Die Figur ist ähnlich wie die Schwimmerin aufgebaut. Auch hier wird der Blick in die Höhe gezogen, wo die Entblößung der Brüste zur Sensation wird. Unter dem darüber in die Höhe gezogenen Tuch wird der Körper – und insbesondere das Gesicht – undeutlich, um in der unter dem Stoff hervorgearbeiteten Hand wieder zu agierender Klarheit zu gelangen.
Unsere Betrachtungen mögen gezeigt haben, dass in dieser Kunst hinter der dargestellten Thematik sich eine übergegenständliche Ordnung befindet, die Kunstwert und Bedeutung ausmacht. Martin Mayer selbst hat auf eine entwaffnend klare Weise auf Fragen nach geheimer Bedeutung in seiner Kunst geantwortet:
"Die Leute fragen mich oft, was ich mir bei der einen oder anderen Plastik gedacht habe. Die Fragen, find ich, sind nicht zu beantworten. Was ich gedacht habe, was ich mir bei einer Figur denke, das liegt ja vor. Das habe ich ja in der Figur ausgedrückt. Da sind ja keine Rätsel zu raten. Bei gegenstandslosen Gebilden, die bedürfen mitunter oder in den meisten Fällen, würde ich sogar sagen, einer Erklärung."
Thomas Gädeke
Stayinart 1.25
www.stayinart.com