"Bestehen vor einem Thema, dem Teilstück des Lebens, das wir als Stoff unserer Arbeit ausgesucht haben, bis wir ihm oder uns die einzige und genaue Essenz entrungen haben.
Bestehen vor dem Leben, einen Geisteszustand bewahrend, der nichts zu tun hat mit dem Eitlen und Nutzlosen, dem Einfachen, den Cliquen, der gegenseitigen Lobhudelei, dem Kaffeehausklatsch.
Bestehen auf einen blinden, fröhlichen und absurden Glauben an die Kunst, wie auf einen Auftrag ohne erklärbaren Sinn, der furchtlos akzeptiert werden muss, ohne Widerrede, so wie man das Schicksal akzeptiert."
J. C. Onetti
Öffentliche Kunst, versteckter Künstler – Leben und Vermächtnis von Martin Mayer
Wahrzeichen, Treffpunkte, Fotomotive, Sehenswürdigkeiten im wahrsten Sinne des Wortes – der Bildhauer Martin MayerMartin Mayer, portrait by Herbert List, 1966 hat zahlreiche geschaffen: Die Olympia Triumphans zwischen SAP Arena und Olympiastadion München, den Jakobspilger in Speyer, die Landavia in Landau, der Martin Luther in Weißenburg. Sein Sitzender Keiler in der Neuhauser Straße – keine "Kopie", aber eines der ersten Aufragswerke und ein thematischer "Ausreißer" – gilt als der inoffizielle Glücksbringer Münchens und zählt zu den meistfotografierten Motiven der Stadt.
Mit rund 30 meist überlebensgroßen, im öffentlichen Raum aufgestellten Skulpturen gehört Martin Mayer zu den renommiertesten Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Freimütig zwischen scheinbar widersprüchlichen Welten wandernd – lebensnahe, oft unbekleidete Frauen hier; meist gewandete, geistliche Männer dort –, verband er wie kaum ein anderer bildhauerische Tradition und künstlerische Innovation:
Bildhauerische Tradition und künstlerische Innovation
Tradition in der Bedeutung von Weiterentwicklung seiner künstlerischen Genealogie (Hildebrand, Lehmbruck, Barlach, Marcks). Einhergehend mit der "konservativen" Überzeugung, dass in der Bildenden Kunst – wie fraglos in jeder anderen Kunstform auch – neben genuiner Kreativität das handwerkliche Können, sprich die Beherrschung von Werkzeug, Material und Technik, sowie weitreichende Kenntnis der historischen Vorgänger unabdingbare Voraussetzungen sind.
Künstlerische Innovation wiederum im Sinne der Entwicklung seiner ganz eigenen, singulären Formensprache, die Martin Mayers Bronzen, "obwohl" figurativ, so neu, so anders, so einzigartig und unverwechselbar macht wie die eines Maillol, Marini oder Moore. Innovation natürlich auch durch den Erfindungsreichtum figürlicher, oft einfachster Posen: So gut wie jede Plastik zeigt eine emblematische, symbolhafte Gestalt – immer ein Sinnbild, eine Chiffre, nie einfach nur eine naturalistische Nachbildung.
Abstraktion ohne Gleichsetzung von abstrakt und gegenstandslos
Auch Mayers Grafik veranschaulicht, dass sein künstlerisches Erkenntnisstreben – einem ganz ursprünglichen Ansinnen der Bildhauerei folgend – vorrangig der Form galt: Überhöhung, Reduktion, Kombination, Abstraktion – freilich ohne "abstrakt" mit gegenstandslos gleichzusetzen – naturgegebener Rundungen, Kurven, Form- und Flächenverläufe zwecks Sichtbarmachung ihrer wesentlichen, archetypischen Charakteristik.
Künstlergremien, Kulturbetrieb, Kunstmarkt etc. waren Martin Mayer fremd. Dass der Kernsatz seines künstlerischen Credos – "De naturam ad artem, de artem ad naturam", manifestiert 1972 auf der Kugel der Olympia Triumphans –, 1978 als Motto der Biennale Venedig diente, amüsierte ihn. Denn auch mit der Idee von Skulptur als Medium politischer Diskurse konnte er sich nur bedingt anfreunden.
Ikonische Bildnisse femininer Selbstbestimmtheit
Trotzdem bietet sein Œuvre, über den formalen Gehalt hinaus, auch einem eher auf begriffliche Botschaften bzw. konzeptuelle Inhalte bedachten Publikum einen großen Interpretationsspielraum:
Die kraftvollen Frauenplastiken sind ikonische Bildnisse femininer Selbstbestimmtheit. Die gleichermaßen versonnenen wie entschlossenen (künstlerisch aus ihren konfessionellen Kontexten gelösten) Männerfiguren zeigen Antipoden von Gier und Gedankenlosigkeit. Die Gesamtheit des Werkes lässt sich deuten als skulpturale Gesellschaftskritik in Form unprätentiöser Plädoyers für ein achtsames, friedliches und sinnvolles Leben.