Von Herbert List
10 Jahre sind es jetzt her, es war kurz vor der Waehrungsreform. Ich befand mich bei einem Haendler alter Graphik, dessen Laedchen so vollgestopft war, dass man sich kaum ruehren konnte. Waehrend ich in alten Zeichnungen stoeberte, trat jemand ein und fragte: "Kaufen Sie Handzeichnungen?" "Ja sicher," sagte der Haendler, "zeigen Sie mal her." Zoegernd reichte ihm der junge Mann die Mappe. Er war etwas untersetzt. Auffallend in einem grossen Kopf standen ein paar leuchtend blaue Augen. -- Die Mappe enthielt Aktzeichnungen, klar umrissen von kraeftigen Kohlestrichen. "Nein," sagte der Haendler, "das ist leider nichts für mich. Wie Sie sehen, handle ich nur mit alter Graphik". Ich hatte dem jungen Mann ueber die Schulter gesehen und war beeindruckt von der sicheren Vereinfachung der Linienfuehrung. Als ich fragte, war er waere, antwortete er etwas abrupt und gehemmt: "Ich bin Schueler auf der Akademie, Bildhauer, 18 Jahre alt und ich heisse MARTIN MAYER".
Da bat ich ihn, mir mehr Zeichnungen zu zeigen. Ich besuchte ihn auf der Akademie und machte dort Aufnahmen von einigen seiner grossen in Ton geformten Arbeiten. Wie alle Schueler damals musste er sie wieder zerstoeren. Der Ton war knapp und wurde deswegen immer wieder verwendet.
Was mir an Martin Mayer gefiel, war seine klare Aufrichtigkeit sich und anderen gegenueber, und in Verbindung damit ein urwuechsige Kraft in allem was er schuf, eine Kraft, die weder vom Intellekt noch von der Aesthetik eingeengt wurde. Noch waren seine Plastiken naturgebunden und standen teilweise unter dem Einfluss seines Lehrers Theodor Georgii. Aber wenn man ihn wie einen Besessenen arbeiten sah, fuehlte man, dass ein klarer schoepferische Wille dahinterstand. Diesen konnten auch die darauffolgenden Jahre der materiellen Entbehrungen nicht brechen noch behindern.
Sporadisch, so im Abstand von 2 bis 3 Jahren, zeigte er mir seine inzwischen entstandenen Arbeiten. Man sah, wie er sich mehr und mehr frei machte von Naturalismen wie vom Einfluss seiner Lehrers. Mitte vorigen Jahres fuehrte er mir seine neuesten Werke vor, eine Reihe von etwa zehn mittelgroßen Plastiken. Diese Frauenfiguren machten einen großen Eindruck auf mich. Das Endgueltige in der Bewaeltigung der Form liess spueren, dass sich Martin Mayer innerlich zu einer adaequaten Ausdrucksweise durchgerungen hatte.
Wie es für viele Kuenstler ein Thema gibt, das sie ihr ganzes Leben lang immer wieder variieren, ohne deshalb jemals eintoenig zu werden, wie zum Beispiel für den Bildhauer Marini: Ross und Reiter, oder wie für den Maler Morandi: Vasen und Toepfe, so ist es für Martin Mayer der Frauenkoerper, in dem er seine Emotionen auslebt. Seine Frauen sind vegetative Geschoepfe, die sich selbst zu genuegen scheinen. Zum Trotz ihrer Schwere und Fuelle haben sie einen geheimen Liebreiz. Der Ablauf und die Spannungen der Woelbungen, Mulden und Flaechen ist so zwingend, dass auch das abstrahierende Auge immer wieder ueberrascht wird.
In dem Atelier, in dem Martin Mayer bis Mitte vorigen Jahres arbeitete, war es ihm nicht gestattet, grosse Plastiken zu machen. Der Hauswirt befuerchtete, dass infolge des Gewichts der Boden durchbrechen koennte. Durch Vermaechtnis von Theodor Georgii erhielt er dann dessen Atelier, das urspruenglich Adolf von Hildebrand gehoerte. Er konnte dort bereits seine erste lebensgroße Liegende schaffen. Die Plastiken und Zeichnungen auf diesen Seiten* sind alle 1964/1965 entstanden und bilden geistig und stilistisch eine unzertrennliche Einheit.
Nach diesen Arbeiten, deren vitale Kraft und sensible, bis in alle Rundungen lebendige Formung jeden, das heisst nicht nur den Freund des Gegenstaendlichen, sondern auch den der abstrakten Gestaltung anpacken muss, darf man sich noch viele bedeutende Werke von Martin Mayer erwarten.
Aus dem Briefwechsel Herbert List / Martin Mayer
*Geplantes Vorwort für den ersten Katalog 1965