Begegnungen sind es, die unser Leben ausmachen. Nicht nur die Begegnung von Mensch zu Mensch, auch die mit einem Kunstwek, mit einer Zeichnung oder einer Skulptur. Alles kann uns so dialogisch entgegentreten, dass wir darin "Anrede" vernehmen. Das zeigt dieser Briefwechsel, der nicht nur ein Dialog mit dem Bildhauer Martin Mayer ist, in dem sein Verständnis von Kunst zur Sprache kommt. Er ist auch ein Gespräch mit seinen Plastiken, die den Betrachter immer wieder unverhofft und ganz unmittelbar ansprechen. Der Formensprache Martin Mayers wohnt die Kraft inne, dialogische Situationen zu schaffen, in denen sich Spielräume auftun für Phantasie, Assoziationen und Deutungen.
Die Kunst Martin Mayers – eine Ästhetik des Erdhaften und Einfachen – zielt auf das Ürsprüngliche. Die Formen seiner Figuren wollen das Wesen einer Gestalt aufdecken. Sie halten offen, wollen einfach nur da sein, erfreuen und unterhalten, aber auch inspirieren und herausfordern. Sie stellen Fragen ans das Leben, wie wir es haben. Um sie sprechen zu hören, muss man sich auf sie einlassen, sich ihnen vorbehaltlos hingeben. Im Grunde reicht es nicht, nur ein Gespräch mit Ihnen zu haben. Um ihre zeitlose Schönheit und kraftvolle Ausstrahlung zu erleben, muss man mit ihrer Form, aus der ihr Inhalt hervorgeht, im Gespräch sein.
Die Briefgespräche sind auch eine leise Chronik der Freundschaft. Sie begann vor Jahrzehnten an der Nordsee in St. Peter Ording vor einem Bernsteinladen, wo Marie-Luise Heyde dem Bildhauer Martin Mayer zum ersten Mal begegnete. Sie betrachteten die Auslagen. Als sie das Interesse des neben ihr stehenden Mannes wahrnahm und beide ins Gespräch kamen, sagte sie: "Die meisten Stücke, die sie sehen, sind gar nicht echt. Kommen Sie. Ich zeige Ihnen Fundstücke vom Böhler Strand und schenke Ihnen eines." Es war der Beginn einer Begegnung, die zur Freundschaft wurde. In den folgenden Sommern waren Martin Mayer und seine Frau Sigrune öfter unsere Gäste in St. Peter, noch im Hause von Erna Meyer, der Mutter meiner Frau, und später bei uns in Schleswig und Jübeck.
Von allen zwischenmenschlichen Beziehungen, die uns im Verlauf des Lebens zuwachsen, scheint mir die Freundschaft die schönste und ungewöhnlichste. Als zweckfreie Beziehung ist sie ein Kind der Freiheit, wie es bei Dietrich Bonhoeffer heißt: "Kostbarste, seltenste Blüte – die Freiheit des spielenden, wagenden und vertrauten Geistes in glücklicher Stunde entsprungen – ist dem Freund der Freund."
Vorwort aus:
Dietrich Heyde
Briefgespräche mit dem Bildhauer Martin Mayer
Leupelt, Handewitt, 2019
ISBN 978-3-943582-22-2