Von Werner Haftmann
Der Bildhauer Martin Mayer ist in seinem bildnerischen Tun und Denken eingebunden in die Traditionen und Formweisen der süddeutschen, insbesondere der Münchner zeitgenössischen Bildhauerei. München ist nicht nur seit seinem 15. Lebensjahr (1946) sein Lebensraum, sondern auch sein künstlerisches, geistiges und menschliches Umfeld. Geboren ist er am 16. Januar 1931 in Berlin.
So wunderte sich ein so einfühlsamer Bildhauer wie Gerhard Marcks, der sich selbst stets in der preußischen Tradition Schadows sah, ganz zu Recht, als ihm Martin Mayer im Sommer 1967 Fotos seiner Arbeiten zeigte: "Kaum zu glauben, daß Sie in Berlin geboren sind – nicht nur Ihre Themen sind echte unschuldsvolle Münchner Hexen – Ihre ganze Auffassung atmet die Isarluft auch im Geistigen." Marcks bemerkte dabei "eine südliche Vollkommenheit, in der die Sinnlichkeit schönste adäquate Form" gefunden habe.
Ganz ohne Einfluß blieb indessen der eher zufällige Geburtsort Berlin nicht. Mayer spricht gern davon, daß ihm als Kind das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten von Andreas Schlüter auf der Schloßbrücke in Berlin den größten Eindruck gemacht habe und ihm den Wunsch eingab, etwas Ähnliches zustandezubringen und Bildhauer zu werden. In der Tat ist das Voluminös-Barocke, das die machtvolle skulpturale Anwesenheit der Werke Schlüters kennzeichnet, als verborgener Antrieb in der Vorstellung Mayers wirksam geblieben. Zudem waren seine Eltern Pfälzer. So kamen in der Anlage seiner Persönlichkeit südliche Sinnenfreude und die Empfindung für das Erdhafte ganz natürlich ins Spiel. Beide waren Gebrauchsgraphiker. Die künstlerische Tätigkeit seiner Eltern machte es ihm leicht, von Kind an in einen künstlerischen Beruf hineinzuwachsen und sich in ihm heimisch zu fühlen – ohne bohèmehafte Züge, ohne avantgardistisches Elitebewußtsein. Es ist diese Natürlichkeit, die kraftvolle Sinnlichkeit des eindringlichen Sehens und die geradezu gefräßige Neugier nach den anschaulichen Hervorbringungen der ihn umgebenden lebendigen Umwelt, die den Künstler kennzeichnen. Seine ganze Aufmerksamkeit ist nach außen gerichtet und zielt auf die Besitzergreifung der charakteristischen Erscheinungen seiner Umwelt, die seine unermüdlich neugierige Sehlust ihm zuträgt.
Selbstdarstellung, gar im expressiven Sinne, liegt ihm nicht. So wird man unter den zahlreichen Bildnisköpfen vergeblich nach einem Selbstbildnis suchen. Auch die eigene Entwicklung, das Gerüst der Daten, in dem nun einmal ein Leben abläuft und sich als "Entwicklung" darstellt, ist ihm merkwürdig fremd. Ziemlich hilflos ist er, wenn man ihn, wie es sich für einen Historiker gehört, nach den Entstehungsdaten seiner Skulpturen fragt. Er muß dann erst nachdenken – oder gar nachschlagen –, und im Grunde versteht er die Frage nicht. Alles, was er in seiner nunmehr dreißigjährigen Tätigkeit als Bildhauer tat, bleibt ihm Gegenwart, zugehörend einem Figurenkreis, der sein Leben umstellt und aus ihm wächst, wie Zweige eines Baumes, die zwar zeitlich nacheinander gewachsen, beim Anblick des ganzen Baumes jedoch gleichzeitig gegenwärtig sind und den Stamm, aus dem sie wuchsen, nicht verdecken, sondern als ihren gemeinsamen Ursprung bestätigen.
So hält sich Mayer in der Anordnung der Tafeln dieses Buches, die allein auf ihn zurückgeht, keineswegs an die Strenge der zeitlichen Abfolge, wie es einem historisch empfindenden Menschen naheliegen würde, und sucht vielmehr nach bildlichen Entsprechungen und oft überraschenden formalen oder inhaltlichen Verknüpfungen im Gestus der Figuren. Denn alles Getane bezieht sich noch immer auf sein gegenwärtiges Dasein als auf den Stamm, aus dem die Figuren wuchsen.
So kann es gar nicht ausbleiben, daß gewisse Eigenheiten seiner äußeren Erscheinung und inneren Lebenshaltung sich im Auftritt seiner Figuren metaphorisch widerspiegeln: die Offenheit und Sinnlichkeit dieses kräftigen, stämmig gebauten Mannes von guter Körpergröße, wie auch das "Pyknische" in seiner Erscheinung und Lebenseinstellung, die sich an der prallen Daseinsfülle des Leiblichen und der auf sie antwortenden Form begeistert und diese gern und voller Humor bis ins Burleske übertreibt. Ein geborener Bildhauer, der aus der reinen Anschauung seiner natürlichen Umgebung die figürliche Entsprechung findet, entdeckte Mayer alsbald die Gestalt der fülligen jungen Frau als passende Leitfigur. Jene "unschuldsvollen Münchner Hexen", wie Marcks sagte, mit ihrer gewichtigen, von einer koketten Daseinsfülle erotisierten und doch passiv verschlafenen Leiblichkeit reizten ihn zu den gewagtesten und intimsten Stellungen. Doch steht diese scheinbar so spontane, aus reiner sinnlicher Erlebnisfreude am natürlichen Eindruck hervortretende bildnerische Gegenäußerung auf sehr genauem traditionellen Grund. Sie setzt, wie die ganze neuere Münchner Bildhauerei, bei Adolf von Hildebrand an. Das war allerdings keine vorgefaßte Entscheidung des jungen Martin Mayer; er wuchs in sie hinein – und er hatte Glück.
Als er eben 15 Jahre alt war, wurde Theodor Georgii, Schüler und Schwiegersohn Hildebrands und Professor für Bildhauerei an der Münchner Akademie der bildenden Künste, auf ihn aufmerksam und setzte durch, daß er trotz seiner Jugend in seine Klasse eintreten durfte. Schnell entwickelte sich ein nahes menschliches Verhältnis. Er wurde der Lieblingsschüler Georgiis und durfte bald als Gehilfe in dessen Privatatelier mitarbeiten. Das Atelier Georgiis lag in Hildebrands Münchner Haus und war dessen ehemaliges Atelier. Einrichtung, Inventar und Werkzeuge stammten noch von ihm. Da Georgii seinem jungen Schüler all dies vermachte, benutzt Mayer heute noch die Werkzeuge Hildebrands – und ist stolz darauf. Als Georgii 1963 starb, durfte er durch dessen Verfügung im Atelier im Hildebrandhaus weiterarbeiten, bis dieses 1968 verkauft und anderen Zwecken zugeführt wurde.
Georgii war der ergebene Schüler seines Meisters. Er milderte die straffe Architektonik der klassischen Figurenvorstellung Hildebrands ein wenig durch einen behutsamen Lyrismus, als hätte ein leiser Einfluß großgriechischer Terrakotten, die er aus seinen vielen Aufenthalten in Italien kannte und von denen sein Freund Anton von Stadler, der damals Direktor der Münchner Akademie war, eine schöne Sammlung besaß, die Strenge der klassischen Antike um einiges zurückgenommen. Wichtiger war der geistige Hintergrund, das bildhauerische Denken Hildebrands. Dessen Traktat "Das Problem der Form" war über Jahrzehnte das Handbuch jedes deutschen Bildhauers; nicht allein in München. Noch Jahre nach dem letzten Krieg habe ich mit dem rheinischen Bildhauer Ewald Mataré stundenlang über Hildebrands Vorstellung vom "Fernbild" diskutiert, so intensiv, als handele es sich um ein zeitgenössisches Problem – was es in der Tat noch immer ist. Georgii war als unmittelbarer und ihm persönlich eng zugetaner Schüler Hildebrands ganz erfüllt von dessen weitgespannter Theoretik, die ja mitgeprägt war von dem bildnerischen wie philosophisch-ästhetischen Denken so erlesener Geister wie seiner ehemaligen Freunde Hans von Marées und Konrad Fiedler. Er konnte sie im tätigen Machen und im nachdenklichen Gespräch darüber dem jungen Bildhauer während der gemeinsamen Arbeit leicht und ohne die Schwerfälligkeit des Didaktischen vermitteln.
Sie lief auf einige Hauptsätze hinaus: In ihrer Naturnachahmung (dem "Imitativen") sei die bildende Kunst "eine Art Naturerforschung". Die Formprobleme seien "von dieser eindringlichen Naturwahrnehmung diktiert". Die Form filtere das "Architektonische" aus der Wahrnehmung heraus, zeichne den inneren Bau des Formganzen, das organische Ganze von Verhältnissen. "Die architektonische Gestaltung ist das, was aus jener künstlerischen Naturerforschung ein höheres Kunstwerk schafft." Damit träten Skulptur und Malerei aus dem Erscheinungsbild des bloßen Naturalismus heraus. Aus dem Stückwerk des schauend Erlebten bilde sich in unserem Geiste ein ganzheitliches Vorstellungsbild. Die wahre poetische Wirkung entstehe aus dieser synthetischen Weise des Schauens. Die architektonische Gestaltung habe in den Brennpunkt der Betrachtung zu rücken.
Wie Georgii seinerseits aus seiner sanfter gearteten Menschlichkeit heraus die rigide Strenge jenes "Architektonischen" ins Lyrische zurücknahm, so schloß doch auch dieser straffe Begriff selbst, der Hildebrand aus seiner persönlichen Neigung zur Architektur und ihren stereometrischen Strukturen zugefallen war, implizit die Möglichkeit mit ein, die von der Natur gebotenen Formen zu modifizieren und ihre natürlich wuchernden Erscheinungen in bildhauerischen Entsprechungen "abstrahierend" festzuhalten. Diese formgestaltende Sehweise betraf aber nicht nur den strukturalen, über das Stereometrische ablaufenden "Bau" des Ganzen, der Hildebrand so vorrangig interessierte, sondern auch die plastische Oberfläche: die atmende, schwellende und wieder versinkende Fülle der plastischen Kerne, die Kontrapunktik zwischen den Schwellformen und den Hohlformen im plastischen Ensemble, die Veränderung und unterstreichende Abstrahierung der bestimmenden Massengewichte, die eigentlich erst die Daseinsmacht eines plastischen Gebildes im umgebenden Raum bewirken. Hildebrand war ja nicht allein über die klassische Antike zu seiner Vorstellung von Skulptur gekommen, sondern auch durch sein intensives Studium der Skulptur der florentinischen Renaissance, insbesondere von Donatello und Michelangelo, an denen gerade die Belebung des Tektonischen durch die Schwerkraft der plastischen Formen und ihrer Kontrapunktik eindrücklich zu studieren war.
Hier waren Wegmarken aufgestellt, die von der festgefügten Leitvorstellung Hildebrands her neuere Entwicklungen zuließen. Unser Bildhauer, in der ganzen Unvoreingenommenheit und Entdeckerlust der Jugend, hat diese Wegweisungen wohl instinktiv erspürt. Er bemerkte auch, daß eine ganze Reihe Münchner Bildhauer, die sehr viel älter waren als er, von den gleichen Ausgangspunkten sich in Richtung auf eine größere Freiheit bewegten. Da war z. B. Toni Stadler, der, selbst ein Freund und Schüler Georgiis, nach einer stärkeren lyrischen Beseelung der strengen bildhauerischen Form suchte; da war die ganze Gruppe der Schüler Hahns, aber auch selbständigere Talente wie Wrampe oder Wimmer. Sie alle standen irgendwie und irgendwann in der Strahlkraft Hildebrands, suchten diese aber in Richtung auf eine weniger klassizistische, ausdrucksvollere und die bewegliche Schwellkraft der plastischen Gewichte betonende figurale Vorstellung in Bewegung zu bringen. Es wäre freilich falsch, die Entwicklung des jungen Mayer direkt und punktuell mit einem der genannten Namen zu verbinden. Es war seine kritisch beobachtende Neugier, die ihn dieses eigentümlich kongeniale Panorama Münchner Bildhauerei erkennen und sozusagen auf die für ihn nahrhaften Bestände abweiden ließ. Er verdaute sie auch auf höchst eigene Weise. So kam es, daß er in das artistische Klima und den regionalen Boden dieses München so selbstverständlich hineinwuchs, daß "seine ganze Auffassung die Isarluft auch im Geistigen atmet" wie Gerhard Marcks auf Anhieb bemerkte.
Doch erschöpft sich sein Werk nicht im Regionalismus. Sein von seiner Neugier gelenktes Periskop entdeckte auch die klassischen, schöngeglätteten und sich füllig dehnenden Frauengestalten Maillos, die schweren Massengebilde des modellierenden Renoir, die so naturnah scheinenden und doch über plastische Grundformen aufgebauten Bildnisköpfe Despiaus, auch die "Pomonen" Marino Marinis in ihrer großartig plastischen, etruskischen Schwellkraft. Sein Blick fiel auch auf den Berliner Marcks, auf dessen frühe Arbeiten (vielleicht den "Römischen Jungen" von 1935) und wohl auch auf dessen jüngere Freunde Gustav Seitz oder Hans Mettel.
Es ist das Menschenbild, an dem sich Mayers Vorstellung motivisch entzündete. Durch das ganze Werk ziehen sich die prallen Mädchengestalten in oft vergnüglichen, drollig gewagten Körperbewegungen: Hockende, Purzelnde, Sich-Duckende, Übermütige, junge kräftige Weibspersonen beim Haarwäschen oder gar im Handstand. Es steckt viel freudiges Einverständnis in diesen bäuerlichen Balletteusen, ein sinnliches Körpervergnügen ohne Scham, unschuldig eher, weil voller gutmütigen, amüsierten Humors, der die gewagtesten Stellungen gern bis ins Groteske, aber nie bis zum Obszönen treibt. Die schmiegsame Oberfläche, die plastische Rundung der immer zu ganzheitlicher Form verflochtenen Glieder löst eine ungemeine Verführung zum An- und Abtasten der sich zusammenschließenden Formen aus, vergleichbar (und ähnlich verführerisch) jenen fernöstlichen "Handschmeichlern", die der Mandarin in seinen weiten Ärmeln verwahrte, um noch im Ernst seiner Verrichtungen beim Streicheln der Form ein heimliches Vergnügen zu finden. Dies Taktile, der dringende Wunsch zum schmeichelnden Berühren der Form, der natürlich einer der sinnlichen Grundimpulse des schaffenden Bildhauers selbst war, ergreift auch den Betrachter, stellt ihn im Nachvollziehen auf die gleiche Empfindungsebene mit dem Bildhauer und hilft ihm, den Aufbau der Skulptur sinnlich zu erfahren. Das ästhetische Vergnügen, das sich gewöhnlich in mehr geistigen, entrückteren Schichten abspielt, wird durch das Erlebnis des Sinnlichen bereichert und erlaubt dem Betrachter, Aktion und Absicht unmittelbar nachzuerleben. Der Betrachter wird selbst aktiv. Jenes "entrücktere" Geistige bleibt dennoch nicht ausgespart. Häufig gibt Mayer seinen Figuren Titel, die über die reine körperliche Pose – Stehende, Hockende, Kauernde – hinausreichen. Diese Namensgebung weist auf eine sinnbildhafte Metaphorik zurück, die dichterische Vorstellungen in Bewegung bringt. Diese Namen sind gewiß nachträglich erfunden. Sie sind aber so treffend, daß der in ihnen aufgerufene dichterische Impuls in einer eher unbewußten Schicht den gesamten Schaffensvorgang befeuert zu haben scheint, an dessen Ende dann die Wortmetapher ganz natürlich der Skulptur den passenden Namen gab.
So trägt ein fülliger, halbkauernd auf dem Bauch liegender weiblicher Akt den Namen "Gäa" (1965). Er stellt die Verbindung her zu der archaischen Erdgöttin der griechischen Mythologie und poetisiert durch das mythologische Bild die Erdenschwere der Körperlichkeit, die aus dem Erdenkloß geformte und dem fruchtbaren Boden stets zugewandte Leiblichkeit, die in der Skulptur so klar und anschaulich ist. 1971 erhielt ein liegender weiblicher Akt mit erhobenen Beinen den Titel "Alraune"; er ruft die in der Skulptur enthaltene Wurzelhaftigkeit und pflanzliche Schmiegsamkeit mit dem legendären Namen der Zauberpflanze an und weist mit ihm auf die magische Verbundenheit alles Vegetativen hin. Ein reizender kleiner weiblicher Akt mit angezogenen Beinen in der Kugelform des sich zusammenkrümmenden Leibes erhält den Namen "Das Nest", in dem über die gegenständliche Darstellung hinaus Behütung, Wärme und Fruchtbarkeit des Fraulichen angesprochen sind. Manchmal erlauben die in diesen Namen auftauchenden bildhaften Assoziationen einen wesentlichen Einblick in die Art des plastischen Denkens. So heißt ein kauernder voluminöser Frauenakt "Amphora". Er deutet das Gefäßhafte der figuralen Erscheinung an und weist uns damit auf ein subtiles Problem hin, das die ganze moderne Skulptur bewegt und das gerade auch im Denken Mayers wirksam ist.
Dieses Problem betrifft das Herstellen des plastischen Volumens. Man kann es – wie Rodin – durch Auftragen von Formpartikeln um einen Kern erzielen, bis die gewünschte Masse erreicht ist. Das ist das Verfahren des Modelleurs. Oder man kann es – wie Hildebrand, dessen Volumenvorstellung wesentlich von der Steinbildhauerei herkommt – durch das Herausschälen aus einem Block in seiner Masse bestimmen. Das ist das Verfahren des Bildhauers. Man kann sich aber auch das in den Raum vordringende Volumen als von innen schwellende Form vorstellen, als drückten gewissermaßen Schwellkörper von innen die Form in den Raum, bis ihre äußerste Spannung die abschließende Grenze bezeichnet. Das ist das Verfahren des Töpfers. Sein Ergebnis ist die Vasenform, die durch Druck von innen in ihre räumliche Gestalt hineinwächst. Dieses von innen quellende Volumen hat eine besondere Qualität, die jeder optisch empfindsame Mensch vor den erlesenen griechischen Vasen in ihrer Besonderheit erfahren kann oder vor den großgriechischen Terrakotten, die in ihren Prototypen hohl aufgebaut und in ihren abschließenden Vervielfältigungen aus den Hohlformen (dem Negativ der Modeln) herausgedrückt wurden.
Diese besondere Qualität der von innen anschwellenden Form zu erreichen, ist ein wichtiges Anliegen der Bildhauerei überhaupt. Es veranlaßte zum Beispiel Bildhauer wie Gerhard Marcks jahrelang, oder Ewald Mataré immer wieder, die Werkzeuge ihres eigentlich bildhauerischen Gewerbes beiseitezulegen und freihändig oder auf der Töpferscheibe Gefäße zu formen, um jene von innen andringende Schwellkraft des Volumens immer wieder manuell erfahren und sie als Bildhauer tätig reproduzieren zu können. Eine Anekdote, die mir Gerhard Marcks erzählte und die Toni Stadler bestätigte, mag diesen für den Laien schwerer zu begreifenden Vorgang verdeutlichen. Beide waren 1932 in Rom dem jungen italienischen Bildhauer Mirko Basaldella begegnet und hatten staunend zugesehen, wie Mirko mit der ganzen manuellen Geschicklichkeit der Italiener aus einem Klumpen Plastilin, allein durch das Tastgefühl der Hand, eine kleine Figur als negative Form im Inneren des Plastilinklumpens herausdrückte. Als er die wahrhaft "blindlings" ertastete negative Form ausgoß, zeigte das positive plastische Volumen der ausgegossenen Form das "Vasenhafte",jene von innen gespannte, andrängende Fülle der plastischen Form. Diese Erfahrung haben beide Bildhauer nie vergessen. Noch 1948 zeigt die "Eva" von Marcks deutlich die Absicht, die lebensgroß modellierte Figur diesem Gefäßhaften anzugleichen. Und Toni Stadler sinnierte noch im Alter ständig über die von innen schwellende Form. Ich erinnere mich, wie Stadler seinen fertig modellierten und schon in Bronze gegossenen berühmten "Hund" zu unser aller Entsetzen eines Tages auseinandersägte und mit einem Vorschlaghammer die Bronzewand von innen nach außen trieb, um jene Schwellkraft zu erreichen, wobei er übrigens in seiner poetischen Weise auch den tönenden Klang der vom Hammer malträtierten Bronze als nützliche Quelle seiner Inspiration verstand. Schließlich fand sein Freund, der Münchner Bildhauer und Bronzegießer Heiner Kirchner, ein passendes und leicht zu handhabendes Material, um jene Schwellform zu erreichen: die erwärmte Wachsplatte, die sich leicht von innen nach außen drücken und aus den einzelnen Stücken zur Figur zusammenfügen ließ.
Dieser kleine Exkurs soll nur darauf hinweisen, welch nachdenkliche Wege im bildnerischen Denken die Namensgebung "Amphora" nachzeichnete, die Mayer seiner weiblichen Aktfigur gab. Alle seine Figuren nämlich zeigen dieses "Gefäßhafte", die von innen quellende Form, das schmiegsame Auf und Ab der Volumen, das ohne Unterbrüche durch gerüsthaft geometrische Unterteilung zu einem kontinuierlich fließenden Ganzen sich rundet, wie die Oberfläche eines bauchigen Gefäßes. Diese Absicht bestimmt den Umgang mit seinem Material. Er ist viel weniger "Bildhauer" als "Modelleur". Sein bevorzugtes Material ist der Ton und die Bronze. Der Stein ist selten. Er tritt eigentlich nur in eher dekorativen Zusammenhängen auf: bei öffentlichen Mahnmalen oder bei kirchlichen Aufträgen, aus äußeren Anlässen also.
Ton und Bronze erlauben am ehesten das Spiel der schwellenden Volumen in einer einheitlich sich ausponderierenden Masse. Die gegenständliche Figur ist bei all ihrer sinnlichen Präsenz zugleich auch immer ein in sich selbständiges, vergleichsweise "abstraktes" Stück Skulptur, das sich eigenwillig gegen den Raum behauptet, ihn sich definiert, ihn in Besitz nimmt und seine Ungreifbarkeit geradezu im Wortsinne "begreifbar" macht. Alles Flache wird in der Schwellung der ganzheitlichen Form gründlich ausgemerzt, auch die eurythmisch spielenden linear-dekorativen Elemente, selbst die im Naturbild angedeuteten Grenzformen der Gliedmaßen. Auch die Glieder sollen Teile einer einheitlichen plastischen Masse werden. So verschleift er die Gelenke oder verdickt die Knöchel auffallend gemäß dem Fluß der Form. Alle diese bildnerischen Manipulationen zielen auf die Ganzheit des "Stückes Skulptur", die sich dann auch in der erscheinenden natürlichen Gestalt durchsetzt.
Es ist also ein einheitlicher formaler Gestaltungswille, den ich nur aus Gründen der einfacheren Verständigung "abstrakt" nannte, der das Naturbild erforscht und, auf dieses antwortend, das ihm gemäße Gegenbild entwickelt. Er bewirkt das verblüffend Unakademische dieser so naturnah scheinenden Figurenfamilie. Er drückt sich am auffälligsten aus im Übertreiben der im Naturbild gegebenen Volumina. Gerade die schwellenden Formen des jungen weiblichen Körpers – Schenkel und Gesäß, Brüste und Rücken – reizen ihn zur Übertreibung. Da greift er beherzt zu und übertreibt beherzt. Nicht umsonst ist der füllige, jugendliche weibliche Akt sein Lieblingsmotiv. Doch ist es nicht allein die freudige Sinnlichkeit, die als Anstoß gewiß ihre Rolle spielt, sondern eine bestimmte formale, bildhauerische Vorstellung, die ihn zu diesen Übertreibungen veranlaßt. Diese massigen Formen sind nämlich die entscheidenden Gewichte, aus denen sich das Zusammenspiel der plastischen Volumina zusammensetzt, kräftige Akzente und markante Rufzeichen, die aus Einklang und Störung die Komposition im Gleichgewicht des Ganzen erst wahrhaft als plastisches Ereignis herstellen.
Mitten in dieser spielerisch anmutenden und doch so nachdenklich probenden Beschäftigung mit seinen "jungen Münchner Hexen" entstand eine sonderbar verpflichtende Figur, die als wahres "Exemplum" seiner bildhauerischen Absicht gelten kann. Er gab ihr abschließend den klingenden Namen "Olympia Triumphans". Sie war ursprünglich im Zuge seiner Beschäftigung mit den allerlei Kapriolen vorführenden Mädchenkörpern entstanden, als kleine, auf den Händen stehende Figur. Sie wuchs sich in den Jahren 1971–73 in der Olympiabegeisterung Münchens dieser Jahre zu dem weit überlebensgroßen Standbild aus, das heute als mächtiges Emblem auf dem Hügel des die Münchner Sportstadien umgebenden Parks steht. Es zeigt gegenständlich eine kräftige Athletin im Handstand auf säulenartig kraftvollen Armen mit gespreizten Beinen, die wie ein Rufzeichen und als nahezu "abstrakte" Chiffre gegen den Himmel ragt. In der Monumentalität dieser Figur erreichen alle Eigenheiten, die wir oben uns klarzumachen suchten, unmittelbare Anschaulichkeit. Wir erkennen die übertriebenen Körperformen als Schwellkraft plastischer Volumen, die gerade in der Übertreibung ein formabstrahierendes Sehen ausweisen, das die Vorschläge der Natur in selbständige plastische Gewichte übersetzt. Die straffe Rundung der großen Brüste, die die Kugel des Kopfes im Gleichgewicht hält, und darüber die mächtige Ausladung von Becken und Schenkeln treten in Korrespondenz zueinander und bewirken die artistische Equilibristik im Zusammenspiel schwerer plastischer Massen. Diese aber hält ein umfassender Bewegungszug zusammen, der wie in einer umgreifenden Arabeske alles Detail in der übergreifenden Gesamtform vereinigt. Jetzt treten die Massenvolumen in einen fließenden Rapport zueinander und zeichnen ein groß entworfenes, ornamental zeichenhaftes Gebilde heraus, in dem die der Erde zugewandte Schwere leicht wird und sich nach oben als hochschwebende beflügelte Form equilibristisch erhebt und unerwartet ihren leichten Flügelschlag gegen alle Wahrscheinlichkeit zelebriert. In der Ganzheitlichkeit der aus dem Zusammenwirken der Volumen entstehenden Gesamtform, wie in der von innen anwachsenden Schwellkraft dieser Volumen selbst, werden wir leicht jenes "Gefäßhafte", die Formspannung der Vase, wiedererkennen, von deren besonderer Qualität wir eben sprachen. Sie zeigt ein unlösbares Ineinander von Naturbeschreibung und aus ihr entwickelter freier Entfaltung des kompositorischen Zusammenspiels der Form, dem es gelingt, den stärksten Pol der erlebten Daseinsfülle anschaulich vorzuzeigen. Der Frauenkörper verwandelt sich in ein selbständiges bildnerisches Zeichen, das zwar alle Daten einer naturnahen Beschreibung enthält, seine Rufkraft (Fernbild) aber aus der Anordnung der reinen Form gewinnt. Wir können die imponierende Figur der "Olympia Triumphans" durchaus als einen zentralen Fixpunkt der Entwicklung Mayers ansehen.
Doch sagte ich eingangs, daß die zeitliche Entfaltung seines Werkes schwer nachzuzeichnen wäre. Es ist alles immer "irgendwie" gleichzeitig vorhanden und das bereits Geschaffene immer noch "irgendwie" gegenwärtig. Seitdem er – seit 1954 freischaffender Künstler – im gleichen Jahr seine lebensgroße "Stehende" modellierte, hat sich seine Grundvorstellung von Skulptur nur unwesentlich verändert. Sie ist wohl reicher, bewegter, freier geworden, das anfängliche Grundmuster aber hat sich durchgehend erhalten. Das zeigt die lange Reihe der weiblichen Akte sehr deutlich an.
Aber auch seine Bildnisköpfe, die die Figurendarstellungen immer wieder begleiten, lassen sich schwer in eine Entwicklungsreihe bringen. Ich würde mir nicht zutrauen, eines dieser Porträts auf Anhieb richtig zu datieren. Sie charakterisieren den Dargestellten mit Präzision, lassen aber hinter dem Charakteristischen immer etwas Typisches durchscheinen, das sich im formalen Aufbau gleichmäßig durchsetzt und den Autor stets erkennen läßt. Sie zeigen die gleiche sich räumlich dehnende Massigkeit, begreifen und betonen die Rundungen und Vorsprünge im individuellen Gesicht als Ausbuchtungen des plastischen Kerns, vermeiden das Flache, verschleifen die Kanten und setzen die markanten Lineaturen, mit denen sich das Charakteristische eines Gesichtes vergleichsweise leicht herauszeichnen läßt, in plastische Wölbungen um. Alles charakteristische Detail bindet sich ein in eine einheitliche, raummächtige Massenform. Selbst das vom Leben gefurchte und überaus markant geschnittene Gesicht des kämpferischen Philosophen und Schriftstellers Ernst Bloch, das ihm sehr ähnlich und verblüffend charakteristisch ist, fügt sich in diese bildhauerische Grundkonzeption ein. Bevor es zum Bildnis des Philosophen wird, ist es erst einmal ein, aus einer bestimmten plastischen Vorstellung entwickeltes, Stück Skulptur: eins greift da ins andere.
Doch ist als herausragendes Ereignis innerhalb dieser so verhaltenen, kontinuierlichen Entwicklung eines besonders anzumerken: die Entstehung und Gestaltung der Gewandfigur. Auch sie ist schon behutsam angelegt und vorbereitet in der langen Versuchsreihe der weiblichen Akte und im kleinen Format in den beiden Statuetten der "Sich–Ausziehenden" von 1963. Doch ist sie eben nur ganz zurückhaltend angedeutet; in der einen Statuette paßt sich das Hemd noch völlig der Körperform an, in der anderen bildet es einen plastischen Knäuel um den Hals, der die ziehenden, den Kopf umgreifenden Arme wie ein ringartiger Sockel stützt. 1982 findet sich das gleiche Motiv in einer lebensgroßen Bronze, der "Susanna", wieder. In ihr aber ist das eigentliche bildhauerische Problem, die Dialektik zwischen Kern- und Hüllform, bereits genau gestellt und gelöst. Das über den Kopf gezogene Hemd steht in klarem Gegensatz zu der Kernform des nackten Leibes, seine Gestaltung, die die Umrisse des Gesichts und der Arme vage durchscheinen läßt, folgt als Hüllform einem eigenen Spiel, das die Zieh- und Spannkräfte von Armen und Tuch in ein plastisches Diagramm verwandelt. Solch spannende Dialektik trägt die Artistik der Figur in ihrer doppelten Erscheinung als Kern und Hülle. Diese Lösung kam nicht von ungefähr. 1978/79 schon stellte sich dem Bildhauer mit einer gewissen Plötzlichkeit das Problem der Gewandfigur. Es stellte sich bei der überlebensgroßen Bronzefigur des "Hl. Franziskus", der heute als Freifigur und Friedensbote auf einem kleinen Vorplatz vor dem Postscheckamt in der Sonnenstraße in München steht. Die Figur zeigt den jugendlichen Wandermönch in seiner schweren härenen Kutte und mit nackten Füßen auf seinem Marsch zu einem neuen, zufälligen Predigerort, mag dieser nun eine Waldlichtung mit einer Vogelschar sein oder eine Gruppe von Bettlern auf freiem Feld oder eine Menschenversammlung auf einem Marktplatz in irgendeinem umbrischen Dorf. Sehr einsam, sehr versonnen, mit seinem nachdenklich, halluziniert lächelnden Gesicht, schreitet er mit großen Füßen, die großen Hände auf dem Rücken, getragen von seiner Mission, kräftig fürbaß. Ein flatterndes Taubenpaar folgt ihm als Zeichen des Friedens und des brüderlichen Einverständnisses mit aller Kreatur. Es ist sehr anrührend, diesem Wandersmann in seinem filzigen Gewand auf der belebten Großstadtstraße zu begegnen.
Doch ist es gerade das Gewand, das der Figur ihre plastische Macht und ihre besondere, poetische Aura gibt. Steif, schwer und hinderlich setzt es den irdischen Kontrapunkt zum vom Jenseitigen inspirierten Mönch – Schutzmantel, Mönchskutte und Behinderung in einem. Es kapselt den bewegten, männlichen Leib ein, hindert in seiner steifen Schwere den energischen Schritt und ist doch zu tragen als lastender Harnisch, gleichsam als Uniform des Gottesstreiters, die in ihrer drückenden Armseligkeit doch nur seine Gottesknechtschaft bezeugt.
Diese schöne dichterische Inhaltlichkeit wird ganz wesentlich durch das formale Arrangement bewirkt, eben durch jene, in diesem Fall aggressive Dialektik zwischen Hüll- und Kernform, die den inhaltlichen Ausdruck recht eigentlich bewirkt und sich aus ihm "ein Bild macht". Allein der aus dieser Panzerung wie aus einem Ringkragen herausschauende Kopf des Heiligen macht den verhüllten Körper, die Kernform, deutlicher spürbar. Unten schlägt dann der steife Mantelsaum zurück und gibt ein Stück der kräftig ausschreitenden Beine frei. Von der Seite gesehen bildet der an den Schultern angesetzte, den Umriß vereinfachende Mantel einen großen Bausch, der wie ein schweres Gewicht auf den Körper drückt, auf der fragilen, durchsichtigen Standzone der Füße lastet und ihm dies eigentümlich Schleppende gibt, das dem energischen Schritt das Ritardando einer großen Mühsal hinzufügt. In der Rückansicht hebt die Geste der auf dem Rücken verschränkten Hände den schweren Mantelsaum empor und läßt unter seiner Schürzung und im Gerangel des entstehenden Formgeschiebes aus vielfältig rhythmisierten Schalenformen einen Teil des Gewandes auftauchen, der die Schreitbewegung schmiegsam nachzeichnet und die darunter liegende Körperform deutlich durchscheinen läßt. Da es sich um ein Kunstwerk handelt, mag ein poetisch-musikalischer Vergleich erlaubt sein: Es ist der dumpf wiederholte "basso continuo" der schweren Volumina der Mantelformen, den ein lebendiges Lied, intoniert durch die durchscheinenden leiblichen Kernformen, wahrhaft von innen durchdringt.
Noch einmal stellt sich das Problem der monumentalen Gewandfigur bei dem überlebensgroßen Bronzestandbild des Reformators Martin Luther von 1983, das vor der Andreaskirche im mittelfränkischen Weissenburg steht. Hier besorgt die blockhafte Mantelform die Verstärkung des standhaften Dastehens des mannhaften Protestanten, der, auf schmalem gepflasterten Weg aufgestellt, sich dem Kirchenbesucher wie eine hemmende Barrikade entgegenstellt und ihm seine Riesenbibel als Zeichen der bekennenden Kirche demonstrierend vorzeigt: Hier stehe ich, ich kann nicht anders! Eine Anmerkung scheint mir hier angebracht. "Luther", der "Hl. Franziskus", aber auch die schon 1962 entstandene überlebensgroße Figur des "Orpheus" zeigen eine eigentümliche Nähe zu charakteristischen Merkmalen der physischen Erscheinung des Bildhauers selbst. Einmal auf dieser Spur, glaubt man gar, die zeitliche Abfolge in der Altersstufung zu erkennen: vom jugendlich singenden "Orpheus" über den gegen alle Irrungen anschreitenden "Franziskus" zur wahrhaft gestandenen Männlichkeit "Luthers". Eingangs hatte ich schon angedeutet, daß auch im körperlichen Habitus der bewegten weiblichen Akte Reflexe aus der "pyknischen" Physis und der Körpergestik des Künstlers zu bemerken seien. Sie werden in den großen Standbildern noch deutlicher. Mir scheint diese Selbstidentifikation von Künstler und Werk ein bemerkenswertes Zeichen für die den ganzen Menschen bis in seine Körperlichkeit erfassende Übereinstimmung mit seiner Figurenwelt und seinem ganzen schöpferischen Tun. Seine Figuren zeigen anschaulich die zupackende männliche Lebensfreude ihres Schöpfers, die sich mit seiner staunenden Neugier an den Erscheinungen der Natur so glücklich paart. Seins- und Lebensgefühl, neugierige Sehlust und das Staunen vor der Fülle des Natürlich-Lebendigen werden in den Figuren eins. Sie sind die Form gewordenen Antworten auf die Lebensempfindungen des bildenden Künstlers selbst.
Es entspricht dem auf Tradition und stetige Gegenwärtigkeit gleichermaßen gerichteten Drang des Bildhauers, nach den geleisteten monumentalen Gewandfiguren das aufgetauchte Problem wieder in seine vertraute Ikonographie zurückzuholen. Schon die dionysisch hüpfende, große Bacchantin von 1980/81, die mit ihren unter die Brüste gepreßten Trauben einem fröhlich lärmenden Zug des Bacchus entsprungen zu sein scheint – und der er den burlesken Namen "Palatina Bacchabunda" gab –, zeigt in gesteigerter Form das beständige Weiterleben seiner für die eigene bukolische Lebensempfindung stellvertretenden Figur, dem jungen, kraftvoll lebendigen weiblichen Akt. So holt er in seinen jüngsten Arbeiten wieder die Dialektik von Hüllform und Kernform, die sich ihm an den Gewandfiguren so dringend stellte, in seinen vertrauten Figurenkreis zurück. Daraus entstand 1982 die sich das Hemd über den Kopf ziehende "Susanna" mit ihrem Gegensatz von Nacktem und Verhülltem und schließlich 1984 die "Große Bukolika", die ihren Standort in einem Grünbewuchs am Fuße einer Münchner Isarbrücke am Rande des Flusses gefunden hat. Diese füllige, hockende, in verträumter Masse vor sich hin dämmernde Mädchenfigur, deren den Oberkörper kaum verhüllendes Gewand die Details zur Gesamtform zusammenbindet, so prall geschlechtlich wie die aus ihrer Schale quellende Frucht des Granatapfels, grüßt geschwisterlich herüber zu den oft burlesken Auftritten der früheren Mädchenfiguren. Sie tritt als letzter Ankömmling wieder in deren Familienkreis ein und zeigt dessen beharrliche Gegenwärtigkeit, die keiner Figur aus Gründen einer zeitlichen Entwicklung oder momentaner avantgardistischer Einfälle erlaubt, aus ihm herauszutreten, um anwesend zu bleiben im Kreise der die Vorstellung des Künstlers umstellenden Figuren und deren familiären Kreis zu erweitern, aber nie zu zerstören. Von diesem engen Vorstellungsverbund geben die Tafeln und ihre Anordnung eine deutlichere Anschauung als meine Worte. In ihm liegt der Wachstumsgrund, aus dem dieses skulpturale Werk wuchs und stetig weiterwachsen wird.
Werner Haftmann
Martin Mayer
Callwey Verlag, München, 1988